Volker Krampe – Gefahrgutbeauftragter bei der Beiersdorf AG und Vorstandsvorsitzender der Industrie-Gemeinschaft Aerosole e. V. (Foto: Beiersdorf AG)
Volker Krampe – Gefahrgutbeauftragter bei der Beiersdorf AG und Vorstandsvorsitzender der Industrie-Gemeinschaft Aerosole e. V.
Foto: Beiersdorf AG

Aerosoldosen in der Industrie Wiederverwendung von Aluminium und Stahl

Der Einsatz von Spraydosen in verschiedenen Branchen hat oft zu Unrecht den Ruf, der Umwelt zu schaden und ein Relikt aus klimaunfreundlichen Zeiten zu sein. Die Recherche unserer Redaktion ergab, dass die Aerosolindustrie durch den Einsatz von Treib- und Lösemitteln mit 0,006 Prozent nur einen minimalen Anteil an der Gesamtemission klimawirksamer Gase einnimmt. Die Industrie-Gemeinschaft Aerosole e. V. setzt sich für die Aufklärung rund um das Thema „Spraydose“ ein und sieht sich als Vermittler zwischen Herstellern, Abfüllern und Entsorgungsfachbetrieben. Volker Krampe als Vorstandsvorsitzender kämpft gegen Vorurteile und fördert innovative Produkte.

Sehr geehrter Herr Krampe, was sind derzeit aktuelle Themen der Aerosolindustrie?

Die Themen „Sicherheit“ und „Nachhaltigkeit“ haben in der Industrie eine sehr hohe Priorität. Da alle Aerosoldosen hinsichtlich Vermarktung, Lagerung, Transport und sicherem Recycling stark reglementiert sind, arbeiten Experten der Mitgliedsfirmen der Industrie-Gemeinschaft Aerosole (IGA) permanent über unseren europäischen Dachverband FEA (European Aerosol Federation) in allen relevanten Gremien mit, um die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht nur zu verfolgen, sondern auch bedarfsgerecht mitzugestalten.

Gerade in der Pandemie haben sich die Kaufsysteme „Click&Deliver“ und „Click&Collect“ sehr stark entwickelt. Hier gibt es in der täglichen Praxis erhebliche Probleme mit diesen beiden Konzepten, weil sie gefahrgutrechtlich nicht angemessen abgebildet werden. Wir arbeiten auf UN-Ebene an einer praxisnahen und sicheren Lösung für die betroffenen Unternehmen mit.

Wir müssen z. B. auch sicherstellen, dass es für beide Anwendergruppen, private Verbraucher und „Profis“ in Unternehmen, sichere Sammel- und Recyclingsysteme für benutzte und restentleerte Aerosoldosen gibt. Hier haben wir in Deutschland bereits seit vielen Jahren einen guten Stand, aber die Lösung dieser Herausforderung auf europäischer Ebene erfordert viel Einsatzbereitschaft.

Von welcher Menge hergestellten Spraydosen in Deutschland sprechen wir im letzten Jahr?

Die konsolidierten Zahlen für das letzte Jahr liegen noch nicht vor. Wir können jedoch anhand vorliegender Daten aus der Vergangenheit Einschätzungen abgeben. So lag die Zahl der in Deutschland abgefüllten Aerosoldosen 2021 bei etwas über einer Milliarde – durch die Verlagerung von Abfüllmengen ins Ausland waren die Zahlen rückläufig. Es ist aber schon abzusehen, dass durch Investitionen in Deutschland hier mittelfristig wieder deutlich mehr Einheiten abgefüllt werden.

Deutschland ist zurzeit in Europa das Land mit der zweitgrößten Abfüllmenge von Aerosoldosen. Um die Ränge eins und zwei konkurrieren das Vereinigte Königreich und Deutschland mit deutlichem Abstand zu Frankreich auf Platz 3.

Volker Krampe

  • Konzern-Gefahrgutbeauftragter beim Kosmetikhersteller Beiersdorf AG in Hamburg
  • Diplom-Chemieingenieur, seit mehr als 35 Jahren in den Gebieten Sicherheit von Aerosoldosen und Gefahrgut tätig
  • Vorsitzender des deutschen Aerosolverbandes IGA; leitet das „Steering Committee“ des Europäischen Aerosolverbands FEA; vertritt die Verbände FEA, Cosmetics Europe und AISE im UN Subcommittee of Experts on the Transport of Dangerous Goods, beim Joint Meeting, der WP.15 und (nur für die FEA) beim Dangerous Goods Panel der ICAO
  • erfahrener Ausbilder im Gefahrgutbereich und bei der Qualifizierung von Gefahrgutbeauftragten

Welche Einflüsse haben die Branche in letzter Zeit in Bezug auf Aerosolprodukte geprägt?

Die Pandemie hat auch die Aerosolbranche getroffen. So war 2021 aufgrund der Lockdowns und der reduzierten sozialen Kontakte die Nachfrage in wichtigen Produktkategorien, wie beispielsweise kosmetische Aerosole, rückläufig. Das bedeutet aber nicht, dass im Bereich Forschung und Entwicklung nicht kontinuierlich weitergearbeitet wurde. Ganz im Gegenteil. Nehmen wir zum Beispiel Aerosoldosen aus Kunststoff. Bereits heute besteht schon die Möglichkeit, diese herzustellen. Schwierig ist hierbei jedoch, dass die zulässigen Produktgrößen der aktuellen Aerosolrichtline in der Praxis nicht ausreichend sind.

Daher haben wir technische Sicherheitsstandards erarbeitet und mit den zuständigen Experten der EU-Mitgliedstaaten abgestimmt. Diese Sicherheitsstandards gewährleisten, dass die besonderen Anforderungen an Aerosoldosen aus Kunststoff berücksichtigt werden. Das sorgt dafür, dass auch größere Formate sicher abgefüllt und vermarktet werden könnten. Aufgrund der aktuellen Diskussion um Verpackungen aus Kunststoff und deren Recyclingmöglichkeiten ist die EU-Kommission in Brüssel mit der Implementierung derzeit jedoch noch zurückhaltend.

Berichten Sie uns gern aus der Herstellungspraxis. Wie kommt das Spray in die Dose? Und welche Industriezweige setzen vorrangig Aerosolprodukte ein?

Zu den stärksten Verwendern von Aerosolpackungen gehören die Produktkategorien Körperpflege und Haushaltsprodukte. Das Einsatzgebiet reicht hierbei von Verpackungen für Deodorantien, Haarsprays und Rasierschäumen bis hin zu Raumsprays, Teppichschäumen oder Schuhpflegemittel.

Auch wenn man es der Aerosoldose auf den ersten Blick nicht ansieht, weil sie so leicht zu bedienen ist: Der Herstellungsprozess eines Aerosolprodukts ist sehr komplex. In der Regel ist es ein Zusammenspiel von Treibmittel und Wirklösung (z. B. ein Rostlöser) in Verbindung mit einem für den Zweck maßgeschneidertem Sprühkopf auf der Produktseite. Wichtig sind außerdem weitere Komponenten, wie z. B. die zum System passende stabile und druckbeständige Dose, das selbstschließende Ventil sowie der Schutz vor unbeabsichtigtem Absprühen beim Transport und der Lagerung.

Und so funktioniert die Abfüllung: Bei Standardaerosoldosen wird zunächst die Wirkstofflösung in die Dose gefüllt und dann mit dem Ventilteller gasdicht verschlossen. Durch das Ventil wird die Aerosoldose anschließend mit dem Treibmittel befüllt. Ein 100-prozentiger Test auf Druckbeständigkeit und Dichtheit ist hierbei gesetzlich vorgeschrieben.

Welche Vorteile hat die Anwendung von Aerosolprodukten gegenüber Alternativen in der Industrie?

Aerosolprodukte ermöglichen eine sehr feine und gleichmäßige Verteilung des Wirkstoffs. Und diese Feinheit der Tröpfchen wird nur mit einer Spraydose erreicht. Das liegt am Prinzip der Spraydose, das auf der Mischung von Wirkstoff – dem eigentlichen Produkt – und flüssigem Treibmittel im Inneren der Spraydose beruht.

Hierbei ist ein Teil des Treibmittels bereits im Wirkstoff gelöst. Ein zweiter Teil liegt gasförmig als „Druckpolster“ über dem Wirkstoff-Treibmittelgemisch. Wird der Sprühknopf betätigt, drückt das gasförmige Treibmittel das Wirkstoffgemisch durch das Ventil nach außen. In diesem Augenblick verdampft das Treibmittel in Bruchteilen von Sekunden und der zurückbleibende Wirkstoff verteilt sich sehr fein und sparsam – genauso wie der Anwender oder die Anwenderin das Produkt benötigt. Diese Feinheit der Tröpfchen ist es, die ein gleichmäßiges Auftragen und schnelles Trocknen des eigentlichen Wirkstoffs ermöglicht.

Andere Applikationsformen wie Pumpsprays können diese einzigartigen Eigenschaften von Aerosolen nicht erreichen. So verbleiben Pumpspraypartikel beispielsweise aufgrund ihrer Größe nicht so lange in der Luft und verteilen sich dementsprechend nicht so gleichmäßig. Auch benötigen sie in der Regel eine längere Zeit zum Trocknen. Pumpsprays sind deshalb für eine ganze Reihe von Produkten ungeeignet. Hinzu kommt, dass Pumpsprays – im Gegensatz zu Aerosolen – während der Anwendung Luft in die Verpackung pumpen, was die Haltbarkeit des Produktes bei Einsatz luftempfindlicher Inhaltsstoffe beeinträchtigen kann.

Welche nachhaltigen Entwicklungen können Sie uns in der Aerosolindustrie nennen und wie können Aerosole zur Klimaneutralität beitragen?

Die Aerosolindustrie arbeitet ständig daran, die Anwendung von Aerosolpackungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern und gleichzeitig die Umweltbelastung zu reduzieren.

Zu den Beispielen für eine nachhaltige Entwicklung in der Aerosolindustrie gehört u. a. die Verwendung von Recyclingmaterial zur Herstellung der Dosen. So schont die Wiederverwendung von Rohstoffen, wie Aluminium und Stahl, wertvolle Ressourcen. Weitere Maßnahmen, die je nach Produktkategorie ergriffen werden können, sind die Entwicklung konzentrierterer Produkte, die Umstellung auf wasserbasierte Formulierungen und die Verwendung von Inertgasen wie Stickstoff oder Druckluft als Treibmittel.

Eine Reduzierung des VOC-Gehalts (Volatile Organic Compounds) ist so für einige Produktkategorien möglich, aber in jedem Fall muss natürlich die Produktleistung die Verbraucherinnen und Verbraucher überzeugen.

Auch beim Recycling von Spraydosen gibt es Entwicklungen, noch nachhaltiger zu entsorgen. Welche Tendenzen sehen Sie hierbei?

Um wertvolle Rohstoffe dem Wertstoffkreislauf zuzuführen, ist es wichtig, dass Aerosoldosen recyclingfähig sind. Die überwiegend aus Weißblech oder Aluminium bestehenden Dosen sind hierfür bestens geeignet und werden problemlos über die Wertstoffsammlung wiederverwertet. Die Industrie arbeitet aber beständig an der Verbesserung der Recyclingfähigkeit der Aerosolpackungen im Sinne eines „Design for Recycling“. Insbesondere nationale Anforderungen hinsichtlich der vorhandenen Entsorgungsinfrastruktur müssen hierbei mitberücksichtigt werden. Diese Anforderungen beziehen sich zum Beispiel auf die Sammlung, den Transport und das Recycling der Aerosoldosen.

Die jüngste gemeinsame Initiative der Aerosolindustrie zu diesem Thema ist ein im Dezember 2022 verabschiedeter Code of Practice des Europäischen Aerosolverbandes FEA zur Recyclingfähigkeit von Aerosoldosen aus PET. Dieser sieht beispielsweise vor, die in der Regel im Sprühkopf von PET-Aerosolpackungen enthaltenen Metallteile durch PET zu ersetzen. So kann eine optimale Recyclingfähigkeit dieser Aerosoldosen erreicht werden. Dieser Prozess soll schrittweise erfolgen und bis Ende 2028 abgeschlossen sein.


Vielen Dank für das Gespräch.

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