Jörg Rüdiger, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Sonderabfallgesellschaften der Länder (Foto: Christian Wyrwa) (Foto: Christian Wyrwa)
Seit über 20 Jahren ist Jörg Rüdiger Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Sonderabfallgesellschaften der Länder (AGS)
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Einblicke in die Arbeit von Sonderabfall-Entsorgungs-Gesellschaften Jörg Rüdiger schildert Herausforderungen einer Sonderabfallgesellschaft

Die Niedersächsische Gesellschaft zur Endablagerung von Sonderabfall mbH (NGS) leistet einen maßgeblichen Beitrag zur Entsorgungssicherheit gefährlicher Abfälle in Deutschland. Ihr Geschäftsführer Jörg Rüdiger spricht im Interview mit Sonderabfallwissen über Herausforderungen und Verantwortungen in der Abfallwirtschaft.

Welche Rolle nimmt eine Sonderabfallgesellschaft in einem System wie dem der deutschen Abfallwirtschaft ein?

Die „Sonderabfallgesellschaften“ in den Bundesländern haben – historisch gewachsen – sehr unterschiedliche Funktionen und Aufgabenstellungen. Prägend ist die Konzentration auf gefährliche Abfälle, im allgemeinen Sprachgebrauch „Sonderabfälle“, und das gemeinsame Ziel, in Ergänzung zur privaten Abfallwirtschaft, Dienstleistungen unterschiedlicher Art und z. T. auch hoheitliche Aufgaben möglichst effizient wahrzunehmen. Dabei unterscheiden sich die Sonderabfallgesellschaften nicht nur in der Höhe der Landesbeteiligung (von öffentlich-privaten Partnerschaften/PPP-Modellen bis zu hundertprozentiger Landesbeteiligung), sondern vor allem auch in den Modellansätzen.

Es gibt in den Bundesländern Gesellschaften mit anlagenbezogenen Überlassungspflichten (z. B. GSB Bayern), Andienungsmodelle in unterschiedlicher Ausprägung (SAA, SAM, SBB und NGS), Gesellschaften, denen behördliche Aufgaben zentral zur Aufgabenerledigung übertragen wurden (SAA, SAM, SBB, GOES und NGS), und schließlich reine Entsorgungsgesellschaften mit unmittelbaren Beteiligungen (IAG, GBS) oder mittelbaren Beteiligungen (UEV). Kurzum: Es gibt nicht „die“ Sonderabfallgesellschaft, sondern vielfältige Erscheinungsformen und Ausprägungen.

Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist im Übrigen sicher, ob auch hoheitliche Aufgaben wahrgenommen werden. Das determiniert auch die Rolle der jeweiligen Gesellschaft, denn im hoheitlichen Aufgabenbereich müssen sich die Gesellschaften strikt „wettbewerbsneutral“ verhalten, d. h. operative Aufgaben am Markt hiervon klar trennen. Dieses Prinzip wird aber von den Sonderabfallgesellschaften durchgängig beachtet. In Niedersachsen wird mit der NGS seit 1989 erfolgreich das Andienungsmodell in Kooperation mit der erzeugenden und entsorgenden Wirtschaft praktiziert.

Welche Aufgaben erfüllt eine Sonderabfall-Entsorgungs-Gesellschaft?

Aus den eingangs genannten Gründen kann ich nur für die NGS und das Modell in Niedersachsen sprechen. Die NGS ist ein gelebtes Kooperationsmodell, das sich auch in „stürmischen“ Zeiten bewährt hat und dessen vor mehr als 30 Jahren skizzierten Ziele unverändert Bestand haben:

  • Transparenz der Sonderabfallströme
  • dauerhafte Entsorgungssicherheit zu marktgerechten Konditionen für alle Abfallerzeuger und Erhalt umweltgerechter Entsorgungsstrukturen
  • umfassende Beratung (technisch, wirtschaftlich, rechtlich)

Diese Kernziele, die in den letzten 30 Jahren den jeweiligen umweltpolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen folgend nachjustiert wurden, sind und bleiben der Orientierungsrahmen, an dem sich das Unternehmen – auch bei wechselnden politischen Verhältnissen – auszurichten hat. Ergänzt worden ist dieser Ansatz durch eine konsequente Fortentwicklung der Dienstleistung, die neben der Effizienz in der Abwicklung die Beratung der Abfallwirtschaftsbeteiligten in den Mittelpunkt stellt.

Herr Rüdiger, wo liegen die Schwerpunkte Ihrer (täglichen) Arbeit?

Die Aufgaben ändern sich permanent und orientieren sich bezogen auf die hoheitlichen Aufgaben in der Priorität an den ständig wechselnden gesetzlichen und fachlichen Vorgaben, aber vor allem auch an der jeweiligen Entsorgungssituation für gefährliche Abfälle. Sonderabfallgesellschaften müssen Problemlagen (z. B. beim Thema HBCD/Flammschutzmittel) rechtzeitig erkennen und in Abstimmung mit allen Beteiligten bei Bedarf auch Orientierungspunkte für den Vollzug entwickeln.

Neben der Bewältigung des Tagesgeschäfts (Andienungspflichten, Nachweispflichten, Notifizierung, etc.) mit allen Facetten und kaufmännischen Herausforderungen eines „Massengeschäfts“ – die NGS hat immerhin einen Umsatz von 113 Mio. Euro – ist die zentrale Aufgabe, die Dienstleistungsfunktion für die Abfallwirtschaftsbeteiligten zu bewahren und stetig weiterzuentwickeln, z. B. durch den Aufbau eines Kompetenzzentrums. Es ist eine dauernde Herausforderung und in jeder Beziehung eine Teamaufgabe, die nur mit kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, im Zusammenwirken mit den anderen Behörden im Lande, den Abfallerzeugern, vor allem aber im besonderen Maße auch den Entsorgungspartnern der privaten Abfallwirtschaft bewältigt werden kann. Dies muss stets vorausschauend, mit Blick auf die sich abzeichnenden Entwicklungen geschehen, bei Bedarf aber auch ad hoc, wie z. B. bei aktuellen Entsorgungsengpässen (z. Z. bei der thermischen Behandlung). Zugleich ist sicherzustellen, dass die Gesellschaft ihre hoheitlichen Aufgaben effizient im Rahmen fachlicher Vorgaben abwickelt, und zwar jederzeit transparent.

Jörg Rüdiger

  • ist Jurist und war zunächst in verschiedenen Funktionen in der öffentlichen Verwaltung, zuletzt als Ministerialrat im Niedersächsischen Umweltministerium, tätig.
  • Seit mehr als 30 Jahren ist er Geschäftsführer der Sonderabfallgesellschaft in Niedersachsen (NGS mbH).
  • Jörg Rüdiger ist in diversen Kommissionen, u. a. der Regierungskommission Niedersachsen und Umweltarbeitskreisen der Wirtschaft (u. a. IHK, Unternehmerverbände) tätig.
  • Er ist außerdem Mitherausgeber des Standardwerkes „Recht der Abfall- und Kreislaufwirtschaft“ und u. a. Verfasser eines Praxiskommentars zum abfallwirtschaftlichen Nachweisrecht.

Welche Abfallströme lenkt und steuert die NGS?

Das hinter der Frage stehende „Bild“ ist aus meiner Sicht etwas zu relativieren, denn „Lenken“ ist keine primäre Aufgabe von Sonderabfallgesellschaften. Zuständig ist die NGS im Rahmen der Andienungspflicht nur für gefährliche Abfälle zur Beseitigung, im Rahmen der bundesrechtlichen Nachweisführung für alle gefährlichen Abfälle und bezogen auf die grenzüberschreitende Abfallverbringung für die notifizierungspflichtigen Abfälle sowie – im umfassenden Sinne – die hiermit im Zusammenhang stehenden Aufgaben. Eine „Steuerung“ findet nur im Falle der Beseitigung von gefährlichen Abfällen statt, wobei das Programm durch die im Niedersächsischen Abfallgesetz bestimmten Zuweisungskriterien (u. a. Stand der Technik, dauerhafte Entsorgungssicherheit, Prinzip der Nähe) festgelegt ist. Wir begegnen den Abfallwirtschaftsbeteiligten dabei auf Augenhöhe und beraten im Dialog. „Lenkend“ eingreifen ist nur geboten – dann ggf. aber auch zwingend notwendig – ,wenn europarechtliche, bundesrechtliche oder landesrechtliche Regularien dies vorgeben, z. B. bei unzureichender Anlagengenehmigung, Defiziten in der Entsorgung, fehlerhaften Einstufungen usw. Das ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme, wobei Defizite häufiger auch ihre Ursache in schlichter Unkenntnis der Abfallwirtschaftsbeteiligten haben. Hier ist in erster Linie Beratung angezeigt. Entscheidend ist in der Praxis, diese Fälle aus der Masse herauszufiltern und entsprechenden Lösungen zuzuführen. Die NGS bündelt in Niedersachsen kompetent und effizient an einer Stelle das Know-how über gefährliche Abfälle, das im Rahmen ihrer auch gesetzlich obliegenden Beratungstätigkeit allen abfallerzeugenden und abfallentsorgenden Unternehmen der Wirtschaft, bei Bedarf aber auch den anderen Behörden im Lande zu Gute kommt. Die Sonderabfallgesellschaften haben aber – das gilt jedenfalls für die NGS, die keine originäre Überwachungsfunktion hat – meist keine speziellen Anordnungsbefugnisse und veranlassen durch die zuständigen Überwachungsbehörden nur dann entsprechende Maßnahmen, wenn dies geboten ist, etwa dann, wenn Abfallerzeuger ausnahmsweise „beratungsresistent“ sind. Das sind aber nach meiner praktischen Erfahrung wirklich nur Einzelfälle.

Welche Herausforderungen ergeben sich bei der Entsorgungsüberwachung für gefährliche Abfälle und warum?

Die EU-Abfallrahmenrichtlinie und das Kreislaufwirtschaftsgesetz verlangen eine regelmäßige Überwachung der gefährlichen Abfälle, und zwar für die gesamte Abfallbewirtschaftung, d. h. auch in mehrstufigen Entsorgungsketten, die in der Praxis die Regel und nicht die Ausnahme darstellen. Rechtlich geboten und kennzeichnend ist ein umfassender Überwachungsansatz und -anspruch sowie der dahinterstehende durchgängige Transparenzgedanke. Dass das aktuell nicht immer diesen Ansprüchen genügt, hat viele Ursachen, angefangen bei der zunehmenden Komplexität der Regelwerke bis hin zur unzureichenden Personalausstattung der Überwachungsbehörden. Sonderabfallgesellschaften können Defizite in dem beschriebenen Umfang nur ansatzweise kompensieren, aber von ihrer Aufgabenstellung her eben gerade nicht die Überwachung durch die zuständigen Behörden ersetzen. Wichtig ist ein auf das jeweilige Bundesland zugeschnittenes Überwachungskonzept, das z. B. für Niedersachsen im Arbeitskreis Kreislaufwirtschaft der 7. Regierungskommission „Europäische Umweltpolitik und Vorhabenplanung“ im Dialog mit allen Beteiligten entwickelt wurde.

Effektive Überwachung gelingt nur im Zusammenwirken – es fehlt nicht an Instrumenten, sondern häufig an den Ressourcen. Erfreulich ist, dass Umweltskandale in der Abfallwirtschaft in den letzten Jahren eher Seltenheitswert haben. Dazu mögen auch Sonderabfallgesellschaften einen Beitrag geleistet haben, aber es indiziert auch: so schlecht ist die Überwachung bei gefährlichen Abfällen nicht, wenngleich sie natürlich nicht lückenlos ist und im Übrigen kriminelles Verhalten im Regelfall ohnehin nur repressiv bekämpft werden kann.

Wie sichert die NGS eine ordnungsgemäße Entsorgung gefährlicher Abfälle ab?

Die NGS hat ein dichtes Netzwerk an Verträgen und Vereinbarungen und besucht die Entsorgungspartner, die im Übrigen auch von ihren zuständigen Überwachungsbehörden regelmäßig geprüft werden, im Rahmen eines festgelegten Besuchsrhythmus oder anlassbezogen. Über die Abrechnung der Entsorgungsdienstleistung, die in Niedersachsen über die NGS abgewickelt wird, und Stichproben bei der nachlaufenden Kontrolle erfolgt eine ergänzende Überprüfung. Die NGS trägt im Falle der Zuweisung von gefährlichen Abfällen eine Mitverantwortung, der sie sich sehr bewusst ist. Der Schwerpunkt liegt aber eindeutig auf der detaillierten Kontrolle der eingereichten Nachweise.

Inwieweit leistet die NGS Unterstützung beim Entsorgungsnachweis durch Abfallerzeuger?

Bezogen auf den Entsorgungsnachweis und die Nachweisführung insgesamt hat es auch hier in den letzten Jahren einen Wandel gegeben, der durch die elektronische Nachweisführung noch einmal beschleunigt worden ist. Kleinere Sonderabfallmengen (< 20 t/a) werden durchweg über Sammel-Entsorgungsnachweise abgewickelt. Der Wandel betrifft neben der Form der Nachweisführung noch stärker die Abfallstruktur. Rund 75 % der über die NGS abgewickelten 2,1 Mio. t Sonderabfälle betrafen 2018 gefährliche mineralische Massenabfälle (Bauschutt, Bitumengemische, asbesthaltige Baustoffe usw.), bei denen ganz andere Anforderungen an den Entsorgungsnachweis gestellt werden als z. B. bei produktionsspezifischen Abfällen. Bei den Produktionsabfällen liegen – von gemischt anfallenden Standardabfällen einmal abgesehen – häufig detaillierte Beschreibungen durch Stoffdatenblätter o. ä. vor. Beim reinen Entsorgungsnachweis enthalten die Abfallerzeuger Unterstützung prioritär durch die Entsorgungsunternehmen. Die Sonderabfallgesellschaften haben hier eine wichtige Reservefunktion, sind bei Bedarf beratend tätig und natürlich liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Kontrolle der eingereichten Nachweise, die häufig Nachfragen bei den Abfallwirtschaftsbeteiligten erfordern. Das ist in der Praxis der Schwerpunkt der „Unterstützung“, die nicht nur die Erzeuger, sondern auch die Entsorger (Beförderer, Transporteure, Betreiber von Entsorgungsanlagen) und auch die Kommunen in Anspruch nehmen.

Welche Empfehlungen geben Sie Abfallerzeugern, wenn Sie Fragen zur sachgemäßen Entsorgung gefährlicher Abfälle erreichen?
Gibt es einen Leitfaden oder Leitlinien?

Es gibt eigentlich nur die Empfehlung, dass die Abfallwirtschaftsbeteiligten auch tatsächlich die Fragen stellen, die sie berühren. Man kann die Sonderabfallgesellschaften telefonisch oder auch sonst unkompliziert, z. B. durch Anfragen per E-Mail, in Anspruch nehmen. Es werden bei Bedarf auch Entsorgungsoptionen aufgezeigt, Kontakte vermittelt und im Rahmen der Möglichkeiten auch konkrete Lösungen entwickelt. Leitfäden oder Leitlinien gibt es zahlreiche, z. B. auch auf den Internetseiten der Sonderabfallgesellschaften, aber natürlich auch generell im Internet (z. B. LAGA online). Ich rate ausdrücklich dazu, die Kompetenz der Sonderabfallgesellschaften in Anspruch zu nehmen, denn die Fallvarianten und die praktischen Probleme der Beteiligten sind aufgrund der ständig wachsenden Komplexität in der Abfallwirtschaft so vielfältig, dass Leitlinien oder Leitfäden immer nur eine grobe Orientierung geben können. Die Sonderabfallgesellschaften sind hier kompetente Ansprechpartner und helfen gern. Dies gilt sicherlich nicht nur für die NGS, sondern für alle Gesellschaften.

Gibt es einen Austausch zwischen den Sonderabfall-Entsorgungs-Gesellschaften in Deutschland?
Wenn ja, inwiefern arbeiten Sie zusammen?

Die Sonderabfallgesellschaften arbeiten traditionell sehr eng zusammen, und zwar auch mit Sonderabfallgesellschaften, die, wie z. B. die HIM, zwischenzeitlich voll privatisiert wurden und keine originären Aufgaben als „Sonderabfallgesellschaften“ mehr haben. Es gibt aktuell in 9 Bundesländern 11 Gesellschaften, die mit der Organisation und Sicherung der Sonderabfallentsorgung beauftragt sind. 10 der Landesgesellschaften wiederum haben sich in der Arbeitsgemeinschaft der Sonderabfall-Entsorgungsgesellschaft der Länder (AGS) zu einem bundesweiten Netzwerk zusammengeschlossen, um den Abfallwirtschaftsbeteiligten und den Kommunen ihr breites Know-how anzubieten. In entsprechenden Arbeitskreisen findet – neben den bilateralen Gesprächen – regelmäßig ein intensiver Meinungsaustausch über alle Fragen der Sonderabfallentsorgung statt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Alle Angaben ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit