"Die Stoffpotenziale gefährlicher Abfälle werden viel zu wenig erkannt", sagt bvse-Experte Dr. Thomas Probst (Foto: bvse)
"Die Stoffpotenziale gefährlicher Abfälle werden viel zu wenig erkannt", sagt bvse-Experte Dr. Thomas Probst
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Recyclingpotenziale von Sonderabfällen „Man muss die enthaltenen Wertstoffe sehen wollen“

Die Hauptaufgabe der Sonderabfallentsorgung ist in erster Linie, die Abfälle zu beseitigen und sicher zu vernichten. Die Abfälle werden meist verbrannt und gehen der Kreislaufwirtschaft somit verloren. Ein Experte, der sich für das Recycling oder die Teil-Rückführung von Wertstoffen aus schadstoffbelasteten Abfällen einsetzt, ist Dr. Thomas Probst vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse e.V.).

Sehr geehrter Dr. Probst, Sie sind beim bvse im Fachverband Sonderabfallwirtschaft. Was sind Ihre Aufgaben in dieser Funktion?

Im bvse e.V. finden alle Abfallarten Beachtung und natürlich haben auch die Sonderabfälle ihren Fachverband, ihre Lobby. Wir vertreten gegenüber den Ministerien die mittelständischen und kleinen Entsorgungsunternehmen, klären zu Problemen rund um gefährliche Abfälle auf und schaffen Verständnis für große und kleine Themen. Darüber hinaus führen wir Schulungen in diesem Bereich durch, nehmen an Messen und Veranstaltungen teil und halten Vorträge. Wir benennen die Probleme, die wir sehen, und suchen gemeinsam mit Politik und Öffentlichkeit nach Lösungen, um die bestehenden Strukturen abzusichern und auszubauen. Wir zeigen dabei gern neue Entwicklungen auf, helfen Potenziale zu erschließen.

Dann ist da noch das Monitoring der Sonderfälle, welches ganz wichtig ist. Hier nutzen wir häufig unser Netzwerk aus externen Experten. Weiter ist für uns als Verband die Digitalisierung ein Schwerpunktthema. Eine meiner Hauptaufgaben ist die Stellungnahme zu den Abfallwirtschaftsplänen über gefährliche Abfälle. Leider sind ja die Kapazitäten für die Sonderabfallbeseitigung in Deutschland rückläufig – in allen Bereichen. Und wir hoffen, dass bei den Sonderabfallgesellschaften die Kapazitäten für die Verbrennung von gefährlichen Abfällen bestehen bleiben.

Ihr Schwerpunktthema ist das Stoffpotenzial von gefährlichen Abfällen und wie dieses in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden kann, ohne die Umwelt zu gefährden. Warum werden Sie nicht müde, nach Wegen der Rückgewinnung des „vernachlässigten Stoffstroms“ zu suchen und auf Fachtagungen dafür zu plädieren?

Sonderabfälle sind zunächst ja ähnlich zu den ungefährlichen Abfälle aufgebaut – siehe die Spiegeleinträge. Der große Unterschied ist natürlich das jeweilige Gefahrenpotenzial. Dieses ist häufig relativ gering; es liegt dabei nur zwischen 0,005 % und 0,2 % – in Ausnahmefällen im einstelligen Prozentbereich. Das heißt: Die Abfälle haben ein großes Rückgewinnungspotenzial. Das kann man gut nutzen, wenn man den o.g. Anteil der Gefahrstoffe abtrennt. In Deutschland haben wir die technologischen Voraussetzungen aus der chemischen Industrie und aus dem Bergbau, um diese Umstrukturierungen vorzunehmen. Ich plädiere immer dafür, dass wir diese Stofftrennungen vornehmen und die guten Stoffe in die Kreislaufwirtschaft zurückführen. Farben und Lacke sind zum Beispiel hervorragend geeignet für die Wiederaufbereitung. Auch bei Kühlflüssigkeit, industriellen Reinigungsmitteln, industrielle Abwässern und Altöl wird das zum Teil gemacht oder kann auch in Zukunft gemacht werden. Man muss die enthaltenen Wertstoffe sehen wollen. Viele Menschen achten bei gefährlichen Abfällen immer nur auf das Gefahrstoff-Potenzial.

Dr. Thomas U. Probst

  • Nach dem Studium der Chemie an der TU München erfolgten dort 1991 die Promotion und 1999 die Habilitation
  • Seit 08/2002 beim bvse – Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. tätig, hier für die Sonderabfallwirtschaft, das Kunststoffrecycling und das Recycling von Reifen und Gummi
  • Seit 08/2002 wissenschaftlicher Beirat von Forschungseinrichtungen

Welche positiven Beispiele aus jüngster Zeit können Sie uns noch nennen? Welcher Stoffstrom kann denn ein Thema werden in der nächsten Zeit? Sie arbeiten ja auch mit Forschungseinrichtungen zusammen. Was ist denn jetzt gerade so in der Entwicklung?

In Deutschland ist die Aufbereitung von Altölen in Raffinerien ein Leuchtturmprojekt. Etwa 460.000 Tonnen Altöle werden hierzulande pro Jahr gesammelt. Diese Strukturen können auch auf andere Ströme ausgeweitet werden, die ausreichend groß und werthaltig sein müssen.

Andere Beispiele sind Bauschaumdosen, wobei hier nicht nur die Dosen aufbereitet werden, sondern auch das noch nicht ausgehärtete Polyurethan zurückgewonnen wird. Insgesamt sollte das Recycling von PU-Schäumen, wie in Matratzen und Füllungen, sowie das der PU-Hartkunststoffe weiterentwickelt werden.

Bei Batterien und Akkumulatoren findet Recycling statt, das noch deutlich ausgeweitet werden muss, siehe die vielen Neuentwicklungen in diesen Bereichen. Weiterhin haben wir Sonnenkollektoren und da meine ich nicht so sehr das Glas, sondern die Halbleiter, die über ein beachtliches Stoffpotenzial verfügen.

Große Stoffpotenziale haben flammgeschützte Kunststoffe aus Gebäudedämmungen, aus Elektro und Elektronik oder aus Altfahrzeugen.

Die Stoffpotenziale gefährlicher Abfälle werden viel zu wenig erkannt und gehoben. Da liegt doch noch einiges brach. Die Forschung und Entwicklung zur Nutzung der Stoffpotenziale geht natürlich nur dann voran, wenn sie gefördert wird.

Also ganz klarer Appell an die Politik, zu investieren. Gibt es noch andere Forschungsinstitute, die bereits Projekte entwickelt haben?

Die Rückgewinnung von Stoffen aus gefährlichen Abfällen ist für die öffentliche Forschung und Entwicklung kaum ein Thema. Das meiste, was ich sehe, kommt aus der Abfallentsorgung selbst. Da ist ein richtig tolles Wissen, vor allem ein Ingenieurwissen vorhanden. Potenziale werden erkannt und Pilotprojekte gestartet. Diese Innovationen werden allerdings nicht so sehr nach außen getragen, sondern bleiben in den Unternehmen.

Sie halten auch weltweit die Ohren und Augen offen. Wie steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern im Recycling von Sonderfällen da?

Das ist eine schwierige Frage. Die Altöl-Aufbereitung ist erfreulicherweise bereits in vielen Ländern angekommen. Was mich immer sehr freut, ist, dass Sonderabfälle aus dem Ausland nach Deutschland verbracht und hier behandelt werden. Und das freut mich deswegen, weil wir in Deutschland entsprechend gute, gesicherte Anlagen auf hohem technischen Niveau haben. Dadurch wird die umweltgerechte Entsorgung von gefährlichen Abfällen auch in Ländern sichergestellt, die unzureichende Abfallstrukturen haben. Das ist angewandter, europäischer Umweltschutz.

Explosionen bei Entsorgern, Giftmüll in unseren Gewässern – Klimaschutz und Sicherheit in Bezug auf den Umgang mit gefährlichen Abfällen: Wie kann man das Ihrer Meinung nach zusammenbringen?

Leider werden gefährliche Abfälle häufig nur negativ wahrgenommen. Wenn gefährliche Abfälle brennen oder auslaufen, haben diese eine deutlich höhere Aufmerksamkeit als nicht gefährliche Abfälle.

Betrachten wir die drei Aspekte Umweltschutz, Klimaschutz und Sicherheit. Klar, die Sicherheit steht im Vordergrund. Gerade die Sonderabfallbehandlung mit Beseitigung und Aufbereitung trägt ja maßgeblich zum Umweltschutz und Klimaschutz bei, denn gefährliche Abfälle gelangen dann nicht mehr in die Umwelt.

Wir müssen uns den in der modernen Industriegesellschaft anfallenden Sonderabfällen stellen. Alle anfallenden gefährlichen Abfälle müssen schnell und schadlos entsorgt werden, um die Produktion in Gewerbe und Industrie sicher zu stellen.

In Deutschland ist die Sonderabfallentsorgung, das sind die Beseitigung wie auch die Aufbereitung, vorbildlich. Vorbildlich, da einerseits die gesetzlichen Auflagen erfüllt werden und da andererseits technisch moderne Anlagen zum Einsatz kommen. So werden der Schutz von Umwelt und Klima nach vorn gebracht.

Wenn Sie noch mal aus Ihrer Sicht sagen wollen: Welche rechtlichen Rahmenbedingungen müssen denn beim Recycling von Abfällen beachtet werden, also nicht bei der thermischen Behandlung, sondern beim Abfallrecycling?

Die „Mutter“ aller Vorschriften in dem Bereich ist erstmal die Abfallverzeichnis-Verordnung. Da findet sich die Einordnung in absolut gefährliche oder absolut nicht gefährliche Abfälle. Zusätzlich hierzu gibt es die Spiegel-Einträge, denen man dann „gefährlich“ oder „nicht gefährlich“ zuweisen muss.

Darüber hinaus müssen natürlich die entsprechenden Genehmigungen für die Anlagen sowie für den Umgang mit den gefährlichen Abfällen vorliegen. Hier sind eine Vielzahl von Genehmigungen und Vorschriften einzuhalten.

Die Genehmigung von Anlagen zur Sonderabfallbehandlung zieht sich häufig über viele Jahre hin, da es sich hierbei meistens um Spezialanlagen handelt, für die es kaum oder keine Referenzanlagen gibt. Die Behörden tun sich mit der Genehmigung von Behandlungsanlagen häufig sehr schwer und fordern Gutachten über Gutachten ein, die den Umbau, die Erweiterung und den Neubau exorbitant verteuern.

Warum sollte auch jeder Abfallerzeuger ein Interesse am Recycling haben?

Nicht nur der Entsorger, sondern auch der Abfallerzeuger sollte bei Sonderabfällen Interesse an der Rückgewinnung von Stoffen für die Kreislaufwirtschaft haben. Die Rückgewinnung von Abfällen verbessert die Umweltaudits. Darüber hinaus sind Produzenten häufig in einen Umweltpakt eingebunden. Auch der Abfallerzeuger hat Verantwortung beim Monitoring der Abfälle.

Mit Hilfe von Ökobilanzen lässt sich bei ausgewählten Stoffströmen aufzeigen, dass die Aufbereitung gefährlicher Abfälle nicht nur zur Verlängerung des Stoffpotenzials führt, sondern dies auch energetisch vorteilhafter sein kann als deren Beseitigung. Darüber hinaus wird bei der Rohstoffnutzung die Emission von Treibhausgasen vermindert.

Bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung kann man bei einigen Sonderabfällen sehr gut aufzeigen, dass eine Abfallaufbereitung und Rückgewinnung von Rohstoffen nicht unbedingt teurer ist als deren Beseitigung. Dabei muss die Bilanz natürlich den gesamten Lebensweg von der Rohstoffgewinnung bis zur Beseitigung bzw. bis zum Recycling betrachten. Hier sind häufig Neuberechnungen notwendig, da die bestehenden Datensätze für die Rohstoffvorketten unzutreffend sind und auf veralteten Annahmen beruhen.

Das heißt also die drei Punkte: Rohstoffe, Energie und Klimaschutz sind auch bei gefährlichen Abfällen für den Abfallerzeuger von Belang.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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