Chemieindustrie – ein Branche im Transformationsprozess zur Kreislaufwirtschaft (Foto: Weerapong-Khodsom)
Chemieindustrie – ein Branche im Transformationsprozess zur Kreislaufwirtschaft
Foto: Weerapong-Khodsom

Nachhaltigkeitsstrategien und Sonderabfall Chemische Industrie: eine Traditionsbranche in der Zeitenwende

Die chemische Industrie hat in Deutschland eine lange, starke Tradition von weltweitem Renommee. Doch was muss geschehen, dass das auch in Zukunft so bleibt? Und welche Rolle fällt dabei der Abfallwirtschaft zu? Eine Bestandsaufnahme.

  • Die chemische Industrie in Deutschland ist eine Traditionsbranche von Weltruf, die von den Transformationsprozessen zur Kreislaufwirtschaft indes vor große Herausforderungen gestellt wird.
  • Nachhaltigkeitsstrategien spielen in den Konzeptionen der Unternehmen eine zentrale Rolle, auch bei den gefährlichen Abfällen. Ein großes Potenzial liegt beim chemischen Recycling, auch wenn hier noch technologische Hürden zu nehmen sind.
  • Für eine effiziente Transformation zur Kreislaufwirtschaft fehlt es oft noch an sinnführenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Hier herrscht dringender Optimierungsbedarf.
  • Die chemische Industrie ist unabdingbar für ein wettbewerbsfähiges Ökosystem. Das gilt für Deutschland wie auch Europa insgesamt.

Stellenwert der chemischen Industrie

„Exportweltmeister! Innovations-Champion! Internationales Spitzenniveau! Die Chemie in Deutschland ist eine starke Branche.“ So euphorisch klingt es, wenn sich der Wirtschaftsprüfungs-Dienstleister Deloitte in einer Studie der Chemischen Industrie widmet. Und das aus gutem Grund. Allerdings folgt die entscheidende Frage umgehend nach: „Doch bleibt das so?“

„Wachstum durch Innovation in einer Welt im Umbruch“ heißt die Studie, die Deloitte gemeinsam mit dem Verband der chemischen Industrie (VCI) erstellte. Und das schon 2017. Womit, gut sechs Jahre später, die Fragen aufkommen: Wie sieht es heute in Deutschland mit der chemischen Industrie aus? Konnte sie ihr Standing bewahren? Und welche Rolle spielt die Abfallwirtschaft dabei?

Nachhaltigkeitsstrategien und die Rolle des chemischen Recyclings

Die Ausrichtung auf kreislaufwirtschaftliche Strategien ist auch für die Chemieindustrie zum alles bestimmenden Faktor der letzten Jahre geworden. Und mithin alternativlos. Ressourcen- und Klimaschutz müssen mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten austariert werden. Die damit verknüpften Kernaspekte sind:

  • die Entwicklung und Nutzung von Hochleistungswerkstoffen, die den Ressourcenverbrauch reduzieren,
  • die maximale Nutzung von Abfall als Recyclingrohstoff,
  • der Ausbau von Power-to-Chemicals-Prozessen, d. h. die technologische Optimierung von Verfahren, die die Nutzung von Strom-/Energieüberschüssen zur Herstellung von Chemikalien ermöglichen,
  • die maximal auszubauende Nutzung nachwachsender Rohstoffe und
  • die Reduzierung des CO2-Ausstoßes beziehungsweise dessen Einbeziehung und Verwertung als Rohstoff.

Was diese Punkte wiederum konkret in der Praxis für Unternehmen bedeuten, hat eine ebenfalls vom VCI initiierte „Nachhaltigkeitsinitiative“ in dem kompakten Leitfaden „Einstieg in die Kreislaufwirtschaft in der chemischen Industrie“ gebündelt. Dieser richtet sich vor allem an kleine und mittelständische Unternehmen, skizziert operative Handlungshilfen und strategische Lösungsansätze und illustriert diese mit konkreten Beispielen, die nicht zuletzt auch eins zeigen: Die chemische Industrie ist längst und aktiv mittendrin im Transformationsprozess zur Kreislaufwirtschaft.

Ein maßgebliches Potenzial liegt dabei im chemischen Recycling. Verfahren wie Pyrolyse, Verölung, Vergasung oder Solvolyse ermöglichen es, stark vermischte oder verunreinigte Abfallfraktionen (Verbundwerk- und Ersatzbrennstoff, Sortierreste usw.) abseits energetischer Verwertung wieder für den Wirtschaftskreislauf aufzubereiten. Zahlreiche Projekte und Forschungsvorhaben in Industrie und Wissenschaft arbeiten hier an Optimierungsmöglichkeiten. Denn festzuhalten ist, dass das chemische Recycling noch einige Hürden zu nehmen hat. Technologische, aber vor allem auch solche juristischer, ergo politischer Natur. Dominiert hier doch aktuell (noch) vorrangig die Sichtweise, dass einschlägige Verfahren abfallrechtlich kein werkstoffliches Recycling darstellen. Und somit für das Erreichen der notwendigen Recyclingquoten irrrelevant sind.

Die Notwendigkeit angepasster rechtlicher Rahmenbedingungen

Eine Sichtweise, die an Realitäten vorbeigeht. Dass hier eine juristische Neu- oder Nachjustierung erfolgen muss, ist deshalb auch ein Anliegen der Abfallwirtschaft. So konstatiert Jürgen F. Ephan, Geschäftsführer der REMONDIS Recycling GmbH & Co. KG, dass das chemische Kunststoffrecycling einen sinnvollen Beitrag zum Ressourcen- und Klimaschutz leisten kann – wenn denn „die gesetzliche Grundlage dafür auch gegeben ist.“ Geboten sind genau angepasste Prüfungsparameter die in ebenso genauen gesetzlichen Vorgaben Niederschlag finden müssen.

Denn, so Ephan weiter: „Wir sehen uns mit der Herausforderung konfrontiert, zukünftig auch der chemischen Industrie Recyclingrohstoffe zur Herstellung von Grundchemikalien zur Verfügung zu stellen. Dies funktioniert nur durch Partnerschaften entlang der gesamten Wertschöpfung.“ Und mit entsprechender Rechtssicherheit. Gemeinsam mit PlasticsEurope Deutschland hat der VCI deshalb ein Positionspapier erarbeitet, das darlegt, unter welchen Prämissen die Einordnung des chemischen Recyclings als ein werkstoffliches Recycling auf Basis des Abfallrechts gegeben ist.

Eine Grundsatzforderung ist dabei, die dezidiert technologische – und das heißt letztlich ergebnisorientierte – Betrachtung: Bemessungskriterium soll der Grad der erfüllten Vorgaben bezüglich Ökobilanz, Lebenszyklus- und Massenstrom wie auch Wirtschaftlichkeit sein. Deckt der jeweilige technologische Prozess des chemischen Recyclings diese Vorgaben ab, ist es dem werkstofflichen Recycling gleichzusetzen.

Was den Kreis zu den Positionen der Abfallwirtschaft schließt. Noch einmal Jürgen F. Ephan: „Einige Verfahren leisten vielleicht einen großen Beitrag zur Ressourcenschonung, vernachlässigen aber die Klimaziele und umgekehrt. Eine genaue Prüfung der jeweiligen Technologie mit genauen gesetzlichen Vorgaben könnte hierbei Abhilfe schaffen.“

Zwischen Existenzkrise und Zeitenwende: Wo steht die chemische Industrie?

Bis 2045 will die chemische Industrie klimaneutral sein. Wie das gelingen kann, wurde zwei Jahre lang auf der Klimaschutzplattform „Chemestr4Climate“ untersucht. Experten aus Industrie, Nicht-Regierungsorganisationen und der Politik haben Strategien entwickelt, wie der effizienteste Weg zur treibhausgasneutralen Chemie zu ebnen ist. Im Zusammenhang damit appellierte erst im März ein vom VCI verfasster Politikbrief an die politischen Entscheidungsträger. „Zeitenwende jetzt! Zünden wir den Turbo!“, so das Motto.

Was einmal mehr euphorisch klingt. Lieferte doch jüngst der Wirtschaftsanalyst Martin Bastian eine eher ernüchternde Expertise. „Die Branche steht vor tiefen Einschnitten mit erheblichen Herausforderungen“, konstatiert Bastian, spricht gar von einer „Existenzkrise“. Hohe Energiepreise sind dafür nur ein Hauptgrund. Ein Strukturwandel des Chemiestandortes Deutschland ist unvermeidlich.

Wie positiv oder negativ dieser Wandel letztlich verläuft, hängt von vielen Faktoren ab: Wie geht die geografische Diversifikation vonstatten, welche Möglichkeiten können geschaffen werden, den vielfältigen Kostendruck (neben den Energie-, auch die explodierenden Rohstoffpreise) möglichst zeitnah zu verringern. Und wie realistisch gelingen die Zukunftsanalysen in den einzelnen Bereichen. „Viele Unternehmen sind gezwungen sorgfältig darüber nachzudenken, worauf sie sich wirklich konzentrieren wollen“, betont Bastian.

Dass auch Deutschland – wie Europa insgesamt –ein „massives Standortproblem“ (VCI) hat, ist somit nicht zu leugnen. Dennoch stimmt der Satz: „Die Chemie in Deutschland ist eine starke Branche“ immer noch. Martin Brudermüller, CEO bei BASF: „Nachhaltigkeit und Innovationen durch Chemie sind die Basis für ein wettbewerbsfähiges industrielles Ökosystem und damit für die technologische und wirtschaftliche Stärke Europas.“

Die Herausforderungen, um das auch weiterhin zu gewährleisten, sind bekannt. Die Möglichkeiten ebenso.

 

Quellen

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