Urbaner Raum als Materiallager: Urban Mining ist ein wichtiges Thema für die Baubranche (Foto: Bogdanhoda (iStock))
Urbaner Raum als Materiallager: Urban Mining ist ein wichtiges Thema für die Baubranche
Foto: Bogdanhoda (iStock)

Recycling von Anfang an mitdenken Der städtische Raum als Rohstofflager, Baubranche, Recyclingwirtschaft und Urban Mining

Rohstoffverwertung muss immer auch Rohstoffsicherung sein: Urban Mining verzahnt Ökologie und Ökonomie im städtischen Raum.

  • Urban Mining denkt Circular Economy in Konsequenz: Der städtische Raum wird zum Rohstoffreservat. Das Grundprinzip: Nutzen, was vor Ort schon da ist.
  • Das macht Urban Mining zum wichtigen Thema für die Baubranche. Und das auch aus wirtschaftlichen Gründen. Baustoffe werden rar und teuer – Möglichkeiten ihrer umfänglichen Wiederverwertung werden essenziell für die Zukunftsfähigkeit des Gewerbes.
  • Von der Bauplanung bis zur Umsetzung: Von Anfang an ist das spätere Recycling der verwendeten Stoffe mitzudenken. Urban Mining bietet dafür Strategien. Rahmenbedingungen muss die Politik schaffen.
  • Bauschuttverwertung, giftige Stoffe und das Pro und Kontra des Landfill Mining: Ohne die Kompetenzen der Abfallwirtschaft funktioniert kein Urban Mining.

Urban Mining und Kreislaufwirtschaft

In Zeiten von Klimakrise und Ressourcenschwund rückt es als einer der Wege, die es mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft zu beschreiten gilt, mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein: Das sogenannte Urban Mining; gemeinhin als „Stadtbergbau“ oder „Bergbau im städtischen Bereich“ oder auch als „Stadtschürfung“ übersetzt.

Urban Mining geht von einer einfachen Prämisse aus: Nämlich den städtischen, den urbanen Raum als Materiallager, als „riesige Rohstofflagerstätte“ zu begreifen, wobei „Rohstoff“ hier Sekundärrohstoff meint. Nutzen, was vor Ort schon da ist. Das ist, auf den kleinsten Nenner gebracht, das Urban-Mining-Grundprinzip. Schon verwertete Stoffe als potenzielle Rohstoffe, als Ressourcen zu deklarieren und in Folge für eine Neu- oder Andersnutzung und Verwertung zu gewinnen bzw. zu sichern – das ist Urban Mining.

Der Prozess, der von dieser Prämisse abgeleitet wird, umfasst dabei im Wesentlichen folgende vier Stufen:

  • Identifizierung der anthropogenen (d. h. durch den Menschen verursachter) Rohstoffvorkommen und Lagerstätten
  • Quantifizierung der in diesen Vorkommen/Lagerstätten enthaltenen Sekundärrohstoffe
  • Analyse ihres Rückgewinnungspotenzials, d. h. Analyse der Wirtschaftlichkeit unter Einbeziehung der technischen Rückgewinnungsvarianten (und ihrer Kosten) wie auch der aus den zurückgewonnen Stoffen generierbaren Erlösspannen
  • schließlich der konkrete Arbeitsprozess der Wiedergewinnung, plus Aufbereitung und Weiterverwertung der verschiedensten Wertstoffe

Betrachtet man das insgesamt, stellt sich Urban Mining natürlich erste einmal „nur“ als ein Teilaspekt der Circular Economy dar. Zugleich ist aber gerade hier unmittelbar ein zeitgemäß ideeller Punkt erkennbar: Dass Rohstoffverwertung zugleich immer auch Rohstoffsicherung (oder Rohstoffproduktion) ist; oder besser gesagt: Dass sie im Sinne einer umfänglich funktionierenden Kreislaufwirtschafts-Struktur dazu werden muss.

Das gilt selbstredend nicht nur auf die Stadt als solche. Insofern verengt Urban Mining rein begrifflich etwas die Perspektive. Zu Recht weist das Umweltbundesamt darauf hin: „Anders als der Name vermuten lässt, bezieht sich Urban Mining nicht allein auf die Nutzung innerstädtischer Lager, sondern befasst sich vielmehr mit dem gesamten Bestand an langlebigen Gütern. Darunter fallen beispielsweise Konsumgüter wie Elektrogeräte und Autos, aber auch Infrastrukturen, Gebäude und Ablagerungen auf Deponien.“

Urban Mining – ein essenzielles Thema für die Baubranche

Dennoch ist zu betonen, dass ein Urban-Mining-Hauptfokus naheliegender Weise auf die Stoff- und Materialpallete von Holz, Metall, Glas, Sand oder Beton gerichtet ist; auf Stoffe und Materialien also, die allein in der städtischen Bausubstanz tonnenweise enthalten sind bzw. Jahr für Jahr in Städten verbaut werden. Was Urban Mining gerade für die Baubranche zum essenziellen Thema macht. Nicht zuletzt auch aus ökonomischen Gründen.

Denn neben dem Materialmangel (Ressourcenschwund) werden für Baufirmen die damit einhergehenden Preisexplosionen ein zunehmendes Problem. So vermerkt das Statistische Bundesamt, dass in Deutschland Erzeugerpreise für Baustoffe wie Holz und Stahl 2021 so stark wie noch nie seit 1949 gestiegen sind. Bauholz etwa verteuerte sich um 61,4 Prozent, Betonstahl um 50 Prozent. Dass sich an den Tendenzen in Zukunft etwas ändert, ist mehr als unwahrscheinlich, zumal wie gesagt die Preissteigerungen in Kongruenz zum Ressourcenschwund stehen.

Hinzu kommt, dass dort, wo in anderen Branchen inzwischen seit Jahren recycelt wird und die Abfallmenge entsprechend sinkt, diese im Bausektor gestiegen ist. Kritiker weisen hier darauf hin, dass beim Neubau von Häusern noch zu oft zu viele Stoffe verwendet werden, für die nur unzureichende Recycling-Konzepte (speziell etwa im Falle von Wärmedämmverbundsystemen) existieren.

Was insgesamt also noch weiter verstärkt werden muss, ist eine grundlegende Neustrukturierung von Stoffströmen – damit einhergehend eine Ausrichtung auf recycling- und rückbaugerechtes Bauen. Es geht um die Schaffung einer breiteren Verwertungseffizienz durch neue Materialkombinationen, um eine höhere Rohstoff-Recycling-Fähigkeit, d. h. eine optimierte Verwendung sogenannter Recycling-Baustoffe (RC-Baustoff), zu erreichen. Voraussetzungen für die Neustrukturierung/Optimierung der Stoffströme wären:

  • die Entwicklung recycling- und rückbaugerechter Bau-Konstruktionen (einfacher Auf- und Rückbau, flexible Wiederverwertungsmöglichkeiten),
  • die Einführung eines „Gebäudepasses“, also eines Nachweisdokuments, das die verwendeten Rohstoffe, ihre Qualität und den voraussichtlichen Zeitpunkt ihres Wiedereintritts in den Rohstoffkreislauf bereits vor Baubeginn verzeichnet,
  • die Fixierung der so gewonnenen Daten in „Rohstoffdatenbanken“, die stetig fortgeschrieben und aktualisiert werden und dadurch einen umfänglichen Überblick über die urbanen baulichen Rohstoffkapazitäten geben.

Natürlich müssen dafür auch Rahmenbedingungen seitens der Politik geschaffen werden. Jüngst sprach sich deshalb der Bundesrat für eine stärkere Verwendung von RC-Baustoffen aus. Eine entsprechende Entschließung hat die Länderkammer in ihrer Plenarsitzung am 20. Mai 2022 gefasst. Deren Kernpunkte sind die Forderung nach einer sachbezogenen Auslegungs- und Anwendungshilfe der technischen Baubestimmungen, die Aufforderung an die Bundesregierung, gegenüber der Europäischen Kommission darauf hinzuwirken, im größerem Maße als bisher standardisierte Qualitätskriterien für RC-Baustoffe und wiederverwendbare Baustoffe in Rechtsvorschriften zu fixieren. Und die Forderung, dass diese Baustoffe zudem explizit im Standardleistungsbuch für das Bauwesen (Grundlage für Ausschreibungen im öffentlich-rechtlichen Bereich) mit Förderpriorität gelistet werden.

Schon 2021 widmete sich zudem der Bundesrat der Schonung von Ressourcen im Bereich der Baustoffe. Damals stimmten die Länder speziell einem neu installierten, bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für die Verwertung mineralischer Abfälle, der sogenannten Mantelverordnung für Ersatzbaustoffe und Bodenschutz (MantelV), zu. Diese umfasst die Einführung der Ersatzbaustoffverordnung (EBV), eine novellierten Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV) und die Änderung der Deponieverordnung (DepV) und tritt ab 1. August 2023 in Kraft. Die Mantelverordnung fokussiert den Schutz von Böden und Grundwasser bei der Ersatzbaustoffnutzung, gleichzeitig aber auch hohe Verwertungsquoten für mineralische Abfälle und zielt auf eine Balance beider Seiten.

Unabhängig davon strukturiert jetzt schon der Abfallsteckbrief „1701 mineralischer Bauschutt“ (Zuordnung nach AVV 17 „Bau- und Abbruchabfälle, einschließlich Aushub von verunreinigten Standorten“) die Sortierung in kreislaufwirtschaftlicher Hinsicht.

Rolle der Abfallwirtschaft: Bauschuttverwertung, giftige Stoffe und das Pro und Kontra des Landfill Mining

Ein spezieller Fall im Kontext Baubranche/Urban Mining ist der Umgang mit gebrauchten Bauteilen und Bauschutt. Zwar werden Stoffe, etwa beim Abbruch von Gebäuden, auch jetzt schon getrennt, doch landet ein nicht geringer Teil – statt in neuen Gebäuden oder anderen Bauprojekten – immer noch als bloße Verfüllmasse im Boden, als Schotter auf Verkehrswegen oder schlicht als Abfall auf Deponien. Bauschuttverwertung für Neubauprojekte ist bisher also eher noch die Ausnahme.

Aber auch das muss und wird sich ändern. Der Abfallwirtschaft fällt hier eine besondere Rolle zu. Diese im Sinne nachhaltiger Kreislaufwirtschaft zu erfüllen, setzt wie oben angeführt eine frühzeitige Kenntnis seitens der Entsorger über den Gesamtbestand verbauter Materialen voraus („Gebäudepass“): Wo wurde wann welcher Stoff verarbeitet? Und wie viel davon? Wann wird was davon frei für die nächste Verwertung; d. h.: Wann sind wo welche Materialströme zu erwarten? Wohin sind diese weiterzuleiten? Und wie? Was ist dabei zu beachten?

Die Konsequenz, in der Urban Mining das klassische „Abfall ist Rohstoff“-Diktum der Recyclingwirtschaft ausweitet, bedeutet eben auch, dass gerade Entsorgungsunternehmen in Gesamtabläufe weit umfänglicher eingebunden sein müssen. Recycling ist von Anfang an mitzudenken, Entsorgung und Weiterverwertung von Materialen sind schon vor und bei der Errichtung von Gebäuden im Blick zu behalten. Vernetzung, Kommunikation und Planung sind hier mehr denn je Basis für eine Kreislaufverwertung.

Eng verwoben mit dem Urban Mining ist das sogenannte Landfill Mining; also die Nutzung von Mülldeponien, auch Deponie- oder Abfallbergbau genannt. In einem wissenschaftlichen Projekt der Universität Gießen wurden die teilweise seit einem halben Jahrhundert auf Deponien lagernden Abfälle (Elektroschrott, Plastik, Papier, Metalle, Glas) einer Art „Qualitätskontrolle“ unterzogen. Fazit: Die Forscher waren erstaunt, wie gut der Abfall gerade auch im Sinne einer möglichen Wiederverwertung als Rohstoff erhalten geblieben ist. Einerseits.

Andererseits: Im Wohlstandsmüll der einstigen „Wegwerfgesellschaft“ lauern bis heute Gefahren. Asbest, Dioxine, PCB (Polychlorierte Biphenyle, das sind giftige, krebsauslösende Chlorverbindungen) finden sich auf diesen alten Deponien in mehr oder weniger starkem Umfang. Auch entstehen bis heute in ihrem Inneren klimaschädliche Methangase. Soll heißen: Vor der Nutzung von Deponien als Rohstofflieferant ist eine umfassende Analyse der Stoff- und Bodenbeschaffung unabdingbar. Und kostspielig.

Was indes nicht prinzipiell und von vornherein gegen einschlägige Deponie-Verwertungsstrategien spricht. Die ökologischen Pluspunkte liegen auf der Hand. Aber auch ökonomisch könnten sich, zumindest im Vergleich zu den Kosten am Rohstoffmarkt, jene für eine rohstoffeffiziente Aufbereitung alter Deponien durchaus rechnen.

Zumal Schadstoff-Analysen ggf. auch bei der Verwertung von neu anfallenden Bauabfällen nötig werden. Gerade in den 60ern wurden Produkte in allen Bereichen der Bauproduktion eingesetzt, die heute als gesundheitsschädlich eingestuft sind. Welche das sind (u. a. das seit den 90ern streng verbotene Asbest), ist in der Abfallverzeichnisordnung aufgeführt.

Allerdings können aber auch „an sich“ ungefährliche Abfälle unter Umständen Schadstoffe enthalten, etwa durch Kontaminationen (z. B. durch Reinigungsmittel). Das bedeutet: Für Bauunternehmen empfehlen sich generell Schadstoffgutachten und die Konsultation professionelle Entsorger, die mögliche Schadstoffe und schadstoffbelastete Bauteile identifizieren und der sachgerechten Weiterverwertung zuführen.

Verzahnung ökologischer und ökonomischer Vorteile

Egal, welche Art „Abfall“, ob Bauschutt oder Elektroschrott – das Ziel ist immer die möglichst umfänglich Überführung der noch nutzbaren Materialien und Stoffe in die Kreislaufwirtschaft. Urban Mining ist dabei ein maßgeblicher Faktor. Die damit verbundenen kritischen Abwägungspunkte betreffen vornehmlich Bereiche der Rechtssicherung (illegaler Handel mit Rohstoffen, illegale Verschiebung von Abfall in Länder mit weniger strengen gesetzlichen Vorgaben bezüglich ihrer Weiterverwertung) oder beziehen sich auf die eben schon angeführten Bedenken bei der Aktivierung von Deponien als Rohstofflieferanten (Schadstoffbelastung). Das muss fraglos analysiert, diskutiert und gelöst werden.

Die Positivaspekte des Urban Mining, seine Vorteilen und Optionen, überwiegen allerdings bei Weitem. Urban Mining ist eine kreislaufwirtschaftliche Strategie, die ökologische Vorteile (weniger Abfall, weniger Schadstoffe in Luft, Wasser, Boden, Einsparung und Bewahrung der noch vorhandenen natürlichen Ressourcen, sinkende CO2-Emissionen) eng mit ökonomischen Vorteilen verzahnt (Minimierung der Abhängigkeit von Rohstoffpreisen und Importen, Senkung des weltweiten Konkurrenzdrucks bei der Nutzung und Erschließung natürlicher Rohstoffe, minimierte Förderung und Transportwege von Primärrohstoffen führen zur Energie- und Kostenminimierung für Unternehmen).

Quellen

Alle Angaben ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit