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Die Frage nach der Gefährlichkeit von Abfällen ist immer genauestens zu überprüfen
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Abfallrecht Gefährlichkeit ist relativ

Die Bestimmung der Gefährlichkeit von Abfällen kann sich in der Praxis als eine komplexe Angelegenheit darstellen. Zahlreiche rechtliche Verordnungen, die mithilfe von Gefährlichkeitsmerkmalen eine Einordnung von Abfällen vornehmen, müssen gleichzeitig immer auch auf ihre Relevanz und Gültigkeit für den individuellen Fall geprüft werden. Sonderabfallwissen gibt mit diesem abfallrechtlichen Themenschwerpunkt Orientierung und zeigt Lösungswege auf.

  • Abfallrechtlich gelten „alle Stoffe oder Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss“ als Abfall (§ 3 KrWG).
  • Zur Einstufung (gefährlicher) Abfälle sind die Abfallrahmenrichtlinie (Richtlinie 2008/98/EG) und die Abfallverzeichnisverordnung (AVV) als Grundlage heranzuziehen.
  • Bei der Bestimmung von Stoffen und Gemischen dienen die CLP-Verordnung und die POP-Verordnung zur Orientierung.

Abfallrecht in Deutschland

Das deutsche Abfallrecht zeichnet sich nicht nur durch seine Präzision, sondern auch durch hohe Komplexität aus. Gewinnbringend ist das vor allem für die Kreislaufwirtschaft und die damit verbundene Rückgewinnung von Rohstoffen. Im Gegensatz dazu stellt es Kommunen, Unternehmen und Industrie jedoch immer wieder vor große Herausforderungen.

Zunächst gilt es zu definieren, ab wann ein Produkt, ein Gegenstand oder ein Stoff aus rechtlicher Sicht als Abfall verstanden wird. In § 3 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) ist dazu festgehalten, dass „alle Stoffe oder Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss“ als Abfall gelten. Darüber hinaus müssen weitere Merkmale erfüllt sein, die sich wie folgt gestalten:

  • Der Gegenstand muss beweglich sein. Nicht bewegliche Abfälle sind demnach bspw. Bodenverunreinigungen oder Altlasten.
  • Wird von der Entledigung eines Gegenstandes durch den Besitzer gesprochen, so ist damit gemeint, dass er den Gegenstand einem Abfallverwertungs- oder Abfallbeseitigungsverfahren zuführt und nicht für andere Zwecke weiterverwendet.
  • Der Wille zur Entledigung ist dann gegeben, wenn ein Gegenstand bei einem Produktionsprozess oder einer Dienstleistung entsteht, jedoch als Neben- bzw. Abfallprodukt anfällt und keine Wiederverwendung erfährt (z. B. Sägespäne bei der Holzverarbeitung).
  • Der Zwang bzw. die Pflicht zur Entledigung eines Gegenstandes durch einen Besitzer besteht z. B. dann, wenn der Gegenstand eine Gefahr für das Allgemeinwohl darstellt oder der Gegenstand keine Verwendung mehr für den ursprünglichen Zweck findet (z. B. bei langfristiger Lagerung giftiger Stoffe am Arbeitsplatz).

Zudem wird abfallrechtlich eine grundlegende Unterscheidung in nicht gefährliche und gefährliche Abfälle getroffen. Die Abfalleinstufung wird dabei aber unabhängig vom vorgesehenen Entsorgungsweg vorgenommen.

Rechtliche Grundlagen und Referenzpunkte

Neben europäischen und nationalen Verordnungen des Abfallrechts gilt es, insbesondere für Hersteller bzw. Erzeuger, auch Stoffverordnungen des Chemikalienrechts nicht außer Acht zu lassen. Auf europarechtlicher Ebene sind zunächst die Abfallrahmenrichtlinie (Richtlinie 2008/98/EG) und die Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen mit der Bezeichnung CLP (Classification, Labelling and Packaging of substances and mixtures) als Grundlagen zu nennen. Mit Hinblick auf die Gefährlichkeit von Stoffen muss auch die Verordnung (EG) Nr. 850/2004 über persistente organische Schadstoffe, kurz POP-Verordnung, herangezogen werden.

Auf nationaler Ebene sind vor allem die Abfallverzeichnisverordnung (AVV) und die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS), insbesondere die Einstufung und Kennzeichnung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen TRGS 201, relevant. Abhängig von der Frage nach dem Vorliegen eines Abfalls und der Bestimmung seiner Abfallart, spielen unterschiedliche Regelungen, oftmals auch gleichzeitig, eine Rolle. Die Herausforderung liegt demnach einerseits in der Heterogenität des Abfalls und seiner Herkunft, andererseits in der Betrachtung der vielen Parameter, die für den Umgang mit gefährlichen Abfällen wichtig sind.

Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG (AbfRRL) und Abfallverzeichnisverordnung (AVV)

Die AVV unterscheidet – eingeteilt nach Herkunftsbereichen – 842 Abfallarten. Knapp die Hälfte davon wird als gefährlich eingestuft. Gekennzeichnet und nummeriert sind die Abfälle jeweils mit einem sechsstelligen Abfallschlüssel und der passenden Abfallbezeichnung. Gefährliche Abfälle sind zusätzlich mit einem Stern (*) markiert.

In der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG (AbfRRL) des Europäischen Parlaments ist festgelegt, dass Abfall mindestens eine der folgenden gefahrenrelevanten Eigenschaften aufweisen muss, um als gefährlich eingestuft zu werden:

  • explosiv
  • brandfördernd
  • (leicht) entzündbar
  • reizend
  • gesundheitsschädlich
  • giftig
  • krebserzeugend
  • ätzend
  • infektiös
  • fortpflanzungsgefährdend (reproduktionstoxisch)
  • mutagen
  • Abfälle, die bei der Berührung mit Wasser, Luft oder einer Säure ein giftiges oder sehr giftiges Gas abscheiden
  • sensibilisierend
  • ökotoxisch
  • Abfälle, die nach der Beseitigung auf irgendeine Weise die Entstehung eines anderen Stoffes bewirken können

Häufig ist die Entscheidung über die Gefährlichkeit von Abfällen bzw. darin enthaltenen Stoffen nicht mit Hilfe der AVV allein zu treffen, da sie auf die Herkunftsbereiche des einzelnen Abfalls abstellt und nicht auf die tatsächliche Zusammensetzung. In diesen Fällen ist es ratsam einen Abfallanalytiker heranzuziehen.

POP-Verordnung

Die europäische Verordnung (EU) 2019/1021 über persistente organische Schadstoffe hat die Aufgabe POP-Stoffe weitgehend zu eliminieren. Diese Stoffe sind aus unterschiedlichen Gründen in besonderem Maße gefährlich:

  • Sie verbleiben für einen langen Zeitraum in der Umwelt.
  • Sie reichern sich über die Nahrungsmittelkette an.
  • Sie können über große Distanzen hinweg transportiert werden.
  • Sie können Mensch und Umwelt nachhaltig schädigen.

Die Bundesstelle für Chemikalien (BfC) der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ist die in Deutschland zuständige Behörde, die die Überwachung und Überprüfung relevanter Bestände und Vorgänge übernimmt.

CLP-Verordnung

Die Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen CLP (Classification, Labelling and Packaging of substances and mixtures) geht aus dem Global Harmonisierten System (GHS) der Vereinten Nationen hervor. Als eine Ergänzung zur Gefahrstoffrichtlinie 67/548/EWG und der REACH-Verordnung stellt sie den freien Verkehr von Stoffen, Gemischen und Erzeugnissen in der Europäischen Union sicher. Die Gefahrstoffrichtlinie 67/548/EWG fand mit der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP) am 1. Juni 2015 jedoch ihre Aufhebung.
Europäische Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender sind durch die CLP-Verordnung dazu verpflichtet, Stoffe und Gemische ordnungsgemäß einzustufen, um so Mensch und Umwelt vor möglichen Risiken zu bewahren. Im Zusammenhang mit gefährlichen Abfällen stellt sich hinsichtlich der CLP-Verordnung häufig die Frage nach der Relevanz. Hier ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass Abfälle unter dieser Regelung nicht als Stoff, Gemisch oder Erzeugnis gelten und Betreiber von Abfallbehandlungsanlagen nicht als nachgeschaltete Anwender verstanden werden. Abfälle fallen also nicht in den Anwendungsbereich der CLP-Verordnung.

Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS 201)

Die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS), insbesondere die Einstufung und Kennzeichnung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen TRGS 201, sind thematisch im Arbeits- und Gesundheitsschutz anzusiedeln. Es gilt explizit zu erwähnen, dass die TRGS keine Rechtsnormen im eigentlichen Sinne sind, sondern lediglich Gesetzeskraft erhalten können.

Die TRGS 201 ist den Regelungen der Gruppe mit dem Titel „Inverkehrbringen von Stoffen, Zubereitungen und Erzeugnissen“ zuzuordnen und konkretisiert in ihrem Anwendungsbereich die Anforderungen, die durch die Gefahrstoffverordnung vorgegeben sind. Mit Orientierung an diesen Vorgaben und Einhaltung selbiger sichert sich vor allem der Arbeitgeber arbeitsschutzrechtlich ab.

Die richtige Wahl treffen

Das hier dargelegte Spektrum des europäischen und nationalen Abfallrechts verdeutlicht nicht nur die Komplexität des rechtlichen Rahmens, sondern auch das der Abfallarten und ihrer Gefährlichkeitsbestimmung. Geht es hauptsächlich um die Einstufung eines Abfalls, so sind die Abfallrahmenrichtlinie (Richtlinie 2008/98/EG) und die Abfallverzeichnisverordnung (AVV) maßgeblich. Bei der Bestimmung der Gefährlichkeitsstufe des Abfalls muss zudem die POP-Verordnung hinzugezogen werden.

Die CLP-Verordnung und die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS 201) sind lediglich aus stoffrechtlicher Sicht einzubeziehen, haben jedoch keine unmittelbaren Verbindungen zum Abfallrecht und dem damit verbundenen Entsorgungsweg. Die Harmonisierung aller Regelungen ist nicht nur oberste Priorität in diesem Diskurs, sondern auch eine europaweite Herausforderung.

Quellen

Alle Angaben ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit