Fabrik der Zukunft: KI-gesteuerte Roboterarme montieren selbstständig Fahrzeugrahmen für nächste Generation von Elektroautos (Foto: gorodenkoff (iStock))
Die Automobilbranche steht vor großen Herausforderungen – und ebenso großen Chancen
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Automobilbranche Kreislaufwirtschaft und Automobilindustrie: Zirkuläre Lösungswege für die Kfz-Branche

Futuristische Zukunftsvisionen, R-Strategien und Best-Practice-Lösungen: Auf dem Weg in die Zukunft begreift die deutsche Automobilindustrie die Kreislaufwirtschaft als ihr Herzstück. Sonderabfallwissen hat sich in Deutschlands wichtigem Wirtschaftszweig umgeschaut.

  • Die deutsche Automobilindustrie steht inmitten eines tiefgreifenden zirkularwirtschaftlichen Wandlungsprozesses.
  • „Design for Sustainability“ definiert eine kreislaufwirtschaftliche Strategie, die den gesamten Kfz-spezifischen Produktions- und Verwertungsprozess von der Konzeption bis zum Recycling einer ganzheitlichen Betrachtung unterzieht und Kreislaufwirtschaft als Herzstück einer zukunftsfähigen Automobilwirtschaft begreift.
  • Von der digitalen Vernetzung bis zur Realisierung technologischer Innovationen: Kompetenztransfer ist Informationstransfer und alle Produktionsphasen sind Wertschöpfungsstufen.
  • Viele Best-Practice-Beispiele der Gegenwart zeigen: Die Automobilbranche steht nicht nur vor großen Aufgaben, sondern auch vor großen Möglichkeiten.
  • Die Realisierung technologischer und wirtschaftlicher Zukunftsvisionen geht über rein unternehmerische Belange hinaus. Nicht nur für die Branche allein gilt: Ganzheitlich denken, vernetzt handeln.

Herzstück der Kreislaufwirtschaft: „Design for Sustainability“

In Deutschland ist die Automobilindustrie ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Und das nicht nur, weil man hier auf eine lange, weltweit wegweisende Tradition samt beachtlicher technologischer Innovationsgeschichte zurückblicken kann, sondern auch, weil das Bewusstsein dafür tief im gesellschaftlichen Selbstverständnis verankert ist.

Doch seit geraumer Zeit steht die Branche vor großen Herausforderungen: in der dynamischen Anfangsphase eines tiefgreifenden und langfristig wirkenden Strukturwandels. Der Kfz-Verkehr von morgen wird ein anderer als der von heute sein. Elektrifizierung, Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung spielen dabei nicht nur mit Blick auf Wertschöpfung, Beschäftigungspolitik und technologischen Innovationsausbau, sondern auch bei der Erreichung einer notwendig angestrebten Klimaneutralität eine maßgebliche Rolle. In ihrer Gesamtheit werden all diese Teilaspekte und das Meistern der mit ihnen verbundenen Herausforderungen über die Zukunftsfähigkeit der Branche entscheiden.

Dass das bewusst ist, zeigt sich auch an der verstärkt engmaschigen Vernetzung unterschiedlicher Interessenverbände und den Kooperationsprojekten, die diese miteinander eingehen. So präsentierten auf der letztjährigen IFAT München der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e. V. (BDE) gemeinsam mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA), Mercedes Benz und TSR Recycling branchenimmanente Strategien zirkularer Lösungen. Im Fokus: Divergierende kreislaufwirtschaftliche Faktoren stärker zu bündeln und auszutarieren und sie neu, das heißt, ganzheitlicher und substanzieller, zu denken.

So konstatierte VDA-Geschäftsführer Andreas Rade: „Schon heute wird die Recyclingfähigkeit eines Fahrzeugmodells in Höhe von 85 Prozent sichergestellt. Die Automobilindustrie geht über diesen ‚Design for Recycling‘-Ansatz hinaus. Die Fahrzeughersteller und Zulieferer betrachten alle Wertschöpfungsstufen und ihre Umweltauswirkungen: von den Rohstoffen über die Produktion bis hin zum Recycling. Diese ganzheitliche Betrachtung bezeichnen wir als ‚Design for Sustainability‘. Unsere klare Botschaft ist: Für uns ist Kreislaufwirtschaft das Herzstück, um unsere Nachhaltigkeitsziele in der Antriebswende zu verwirklichen.“

Wertschöpfungsstufen und Produktphasen

Die Aussage korrespondiert mit den Einschätzungen eines ebenfalls 2024 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz initiierten Expertenkreises, der seinerseits die gesamte automobile Wertschöpfungskette in den Blick genommen und zirkulare Lösungsansätze nach Schwerpunktfaktoren wie Dekarbonisierung, Digitalisierung, Automatisierung oder auf strukturpolitische Spielräume hin (Liefernetzwerke, Beschäftigungs- und Qualifizierungsstandards etc.) analysiert hat. Die Ergebnisse wurden im Strategiepapier „Handlungsempfehlungen für die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie: Chancen und aktuelle Herausforderungen“ dargelegt.

Als grundlegend notwendig gilt dabei, sich als Branchenentscheider klar zu machen, dass die Frage „Wie lässt sich die Menge an qualitativ hochwertigen Sekundär- als Alternative zu Primärmitteln steigern?“ von der Frage „Wie vermeide ich Abfall von vornherein und organisiere eine möglichst hochwertige Verwertung?“ maßgeblich unterscheidet. Zwei Fragen mit unterschiedlichen Abfallstrategien.

Ein Beispiel aus der Praxis: Aus rein abfallwirtschaftlicher Perspektive ist es kein Problem, dass die aus alten Kraftfahrzeugen in einem Shredder gewonnenen Stahllegierungen ihre Wiederverwendung wie oft üblich vor allem in der Bauindustrie finden. Dem kreislaufwirtschaftlichen Grundprinzip widerspricht das nicht. Doch richtet man in diesem Zusammenhang den Fokus dezidiert auf die zirkularwirtschaftlichen Bedürfnisse der Autoindustrie, gehen dieser hierbei natürlich potenzielle, hochwertige Materialien zur eigenen Nutzung verloren.

Genau an dieser Stelle setzen die neuen Strategien der Automobilindustrie des „Design for Sustainability” an – bei der Einbeziehung aller Wertschöpfungsstufen bzw. Produktphasen, von Konzeption/Design bis hin zum „Abfallprodukt“ (genauer: dessen Vermeidung). Um folgende vier Phasen geht es dabei:

1. Entwicklungsphase

  • Produkte sind schon in der Konstruktionskonzeption so zu entwerfen, dass sie unkompliziert demontiert, repariert und wiederverwendet werden können („Design for Circularity“ bzw. „Design for Sustainability“).
  • Anzustreben ist die maximal mögliche Verwendung langlebiger und leicht recycelbarer Materialien.

2. Produktionsphase

  • Basis entsprechend optimierter Prozesse und Technologien ist hier eine effiziente Ressourcennutzung.
  • Im Blick zu behalten ist dabei zugleich immer die Einbeziehung von Strategien zur Abfallvermeidung, etwa durch Wiederverwendung von Nebenprodukten.

3. Nutzungsphase

  • Schaffung von Anreizsystemen für die Verlängerung der Produktnutzung.
  • Schulung von Werkstätten mit Blick auf Möglichkeiten und Potenziale des Remanufacturing.
  • Neu- bzw. Wiederaufbau von (Vertrags-)Werkstattnetzen, mit denen die Kreislaufwirtschaft gestärkt und neue Geschäftsmodelle (Pay-per-use-Modelle) flächendeckend installiert werden können.

4. End-of-Life-Phase

  • Implementierung der Möglichkeiten/Strategien zur Rücknahme von Altfahrzeugen; d.h. ein technologischer, aber auch struktureller Ausbau plus Personalprofessionalisierung.
  • Durch konsequente Kontrolle der Verwertungsnachweise, -quoten und -methoden muss sichergestellt werden, dass Altfahrzeuge bei zugelassenen Entsorgungsbetrieben ankommen und den jeweils angemessenen Recyclingmethoden zugeführt werden.

Best-Practice-Beispiele: Digitale Vernetzung, alternative Materialien, innovative Recyclingtechnologien

Wie angeführt, ist die Basis für die Umsetzung dieser ganzheitlich-kreislaufwirtschaftlichen Konzeption eine enge Vernetzung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Kompetenztransfer geht eben nicht ohne Informationstransfer. Dem trägt das Automotive Network Catena-X Rechnung. Die Siemens AG hat dieses „erste kollaborative und offene Datenökosystem für die Automobilindustrie“ mit entwickelt und unterstützt. Catena-X ist ein „offenes und erweiterbares Netzwerk, an dem Automobilhersteller und -zulieferer, Händlerverbände sowie Ausrüster, zu denen Anwendungs-, Plattform- und Infrastrukturanbieter gehören, beteiligt sind.“ Das heißt, dass bis dato verstreute, fragmentierte, heterogene Daten gebündelt und kanalisiert und Informationsflüsse nach Marktbedürfnissen ausgerichtet werden. Letztlich gilt es die „historisch gewachsenen Strukturen und Datensilos entlang der Lieferkette durch einheitliche Standards und eine durchgängige Datennutzung“ abzulösen.

Zu den digitalen Innovationen kommen vermehrt konkret Kfz-technologische hinzu. So arbeiten Hersteller vor allem im E-Autobereich verstärkt an Lösungen für eine effizientere Akku-Integration. Ein Hauptaugenmerk ist hier auf ein gewichtsreduziertes Design und neue Systeme zur Speicherung von Energie gerichtet. Ein zunehmend wichtiger Werkstoff dafür ist Aluminium – nicht zuletzt eines der am häufigsten recycelten Materialien, das auf dem Weg zum CO2-neutralen E-Auto zunehmend an Bedeutung gewinnen wird.

Ein weiteres Beispiel: Das Unternehmen Reifen Müller GmbH & Co. verwendet als ausgewiesener Reifenspezialist bei der sogenannten Runderneuerung von Lkw-Reifen eine Technologie, bei der sowohl per Heiß- als auch Kalterneuerung die Grundstruktur eines Reifens wieder aufbereitet und dessen Lebensdauer erheblich verlängert wird. Hinzu kommt eine markante Reduzierung des Rohstoff- und Energieverbrauchs: Im Vergleich zur Herstellung eines neuen Lkw-Reifens spart die Müller-Runderneuerung circa zwei Drittel der Rohstoffe und 135 Kilogramm CO2-Emission. Wer ebenfalls spart, ist die Kundschaft: Runderneuerte Reifen sind meist kostengünstiger als Neureifen.

Ein Beispiel für innovative Recyclingmethoden kommt aus der Schweiz von der Chiresa AG. Hier werden in der eigens konstruierten Rückbaulinie Elektro-Batterien durch Dismantling und Discharging für die weitere Verwertung vorbereitet. Das Gehäuse des Batteriepacks wird geöffnet, die einzelnen Komponenten werden entnommen. Dazu werden zuerst die Verkabelungen entfernt, danach das Kühlsystem und das Hochvoltmodul, anschließend werden die Batteriemodule ausgebaut. Durch verschiedene elektrische Testmethoden wird geprüft, welche Module noch weiter verwendet werden können. Nachdem alle Module entfernt und getestet worden sind, werden noch Peripheriegeräte und der Kabelbaum entnommen und sortiert. Der Aufwand lohnt sich, denn die Batterie ist mitunter die teuerste Einzelkomponente in einem modernen Elektrofahrzeug. Als Teil der integrierten Abfallwirtschaft sucht das Schweizer Unternehmen stetig nach ökologisch und wirtschaftlich sinnvollen Lösungen zur Verwertung von Sonderabfällen.

Futuristische Zukunftsvisionen und R-Strategien

Dies sind nur einige Beispiele, die verdeutlichen, welche zirkulären Lösungswege hier und heute bereits konkret und praxisnah beschritten werden. Was die Zukunft darüber hinaus bringen muss und wird, zeigt der i Vision Circular von BWM. Eine futuristische technologische Vision: Design-, Entwicklungs- und Herstellungsprozess erfolgten ausschließlich unter Einbeziehung aller Wertschöpfungsstufen. Auf Außenlacke, Leder und Chrom wurde verzichtet, zur Verwendung kamen stattdessen komplett biobasierte, zertifizierte Rohstoffe und Materialien, die bereits einen Produktionszyklus durchlaufen haben. Inklusive der Energiespeicher (Feststoffbatterie) sind alle Materialien zu 100 Prozent recyclingfähig. Ein maximal optimierter Digitalisierungs-Standard geht einher mit einer maximal fahrerfreundlichen Reduzierung der diesbezüglichen Bedieninseln. Ein Musterbeispiel an „Design for Sustainability“.

Wie schnell derlei Zukunftsvisionen marktfähig werden können, hängt davon ab, wie schnell der Paradigmenwechsel nicht nur in der Automobilbranche, sondern gesamtgesellschaftlich vollzogen wird. Hier liegt es an der Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich eben auch neue Businessmodelle als neue Formen der Kooperation entfalten können. Was Branchen-Analysten als R-Strategien bezeichnen (R wie: reduce, reuse, repair, remanufacture, recycle) muss produktspezifisch und strukturell umgesetzt werden können. Und das betrifft eben nicht nur per se Unternehmensbelange der Automobilhersteller, sondern auch kommunale Kompetenzen; umfasst Carsharing-Konzepte und Mobilitätsdienstleister ebenso wie Rücknahme-Systeme und Batterierecyclinganlagen. Auch hier gilt: Ganzheitlich denken, vernetzter handeln.

Quellen

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